Vorlesung Intermetallische Phasen
1. Einleitung
1.1 Allgemeines
Die größte Elementgruppe im Periodensystem sind Metalle, mindestens
2/3 aller Elemente gehören zu dieser Gruppe.
Auch technisch sind viele Metalle extrem wichtig, und zwar sowohl aufgrund
ihrer chemischen Eigenschaften (z.B. Natrium als billiges Reduktionsmittel)
als auch besonders aufgrund ihrer physikalischen und mechanischen Eigenschaften (Cu
als elektrischer Leiter, Stahl als Werkstoff usw.).
Entsprechend der Häufigkeit von Metallen sind auch viele Kombinationen der Metalle möglich
(Bildung von binären, ternären usw. Phasen). Vor allem solche Legierungen
sind technisch von größter Bedeutung.
- Reduktionsmittel (Na, Al)
- Massenprodukte aufgrund mechanischer Eigenschaften: Fe/Stahl, Cu, Al, Cu/Zn (Messing), ...
- Anwendungen aufgrund besonderer physikalischer Eigenschaften:
- gute Wärmeleiter: Cu, Al
- gute elektrische Leiter: Cu, Ag, Au
- Supraleiter: Nb3Sn
- Magnetmaterialien: Fe, Co, Sm2Co17, RhCo, GMR-Materialien
- ... Lote, Wasserstoffspeicher, Elektrodenmaterialien,
gestalterinnernde Legierungen, Thermoelemente
Im Gegensatz zu dieser Bedeutung erfolgt die Behandlung der
Verbindungsbildung der Metalle untereinander im Rahmen des Chemiestudiums
- entweder überhaupt nicht.
- oder sie wird anhand von trivialen Beispielen (lückenlose Mischbarkeit zweier Metalle) betrachtet.
- Es wird erwähnt, dass dieses Gebiet sehr kompliziert sei.
- Manchmal werden wenige ausgewählte (mit 'chemischen' Konzepten verständliche)
Beispiele recht ausführlich behandelt (z.B. Zintl-Phasen, Cluster-Verbindungen).
Auch die metallische Bindung wird in den Vorlesung und Lehrbüchern nur am Rand
behandelt.
Einige Auszüge aus gängigen Lehrbüchern der Anorganischen Chemie
als Beispiele:
Mortimer, Chemie
"Manche Legierungen sind feste Lösungen; Messing ist z.B. eine
feste Lösung aus Zink in Kupfer. Allerdings sind nicht alle Legierungen
feste Lösungen; einige sind heterogene Gemische, andere sind
intermetallische Verbindungen."
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An dieser Stelle ist also zunächst die Definition der verschiedenen
Bezeichnungen erforderlich, wann spricht man von einer Verbindung, wann von
einer Phase, Legierung, festen Lösung?
- Eine intermetallische Verbindung meint i. A. eine stöchiometrisch scharf
zusammengesetzte Substanz, z.B. MgZn2 oder NaTl.
- Intermetallische Phase ist eine Bezeichnung aus der Thermodynamik.
Phasenbreite ist hierbei zulässig. Beispiel
ist ε-AgCd3, eine Phase mit einer Phasenbreite von 70 bis 82 % Cd.
- Von einer festen Lösung spricht man, wenn lückenlose Mischbarkeit
der beiden Elemente ineinander auftritt.
- Legierung ist eine noch weiter reichende Bezeichnung, die auch das
Vorliegen von unterschiedlichen Phasen, auch mit Phasenbreiten, erlaubt.
Bei chemisch homogenen (einphasigen) Substanzen ist die Bezeichnung Intermetallische Phase
immer richtig, Verbindung verwendet man i.A. nur für stöchiometrisch scharfe
Phasen.
Ein weiteres Beispiel für die nicht immer eindeutige Verwendung der Begriffe in
den Lehrbüchern findet sich im
Shriver/Atkins, Anorganische Chemie:
"... Werden flüssige Mischungen von Metallen abgekühlt, bilden
sich oft Phasen definierter Struktur, die keine Beziehung zu den
ursprünglichen Metallstrukturen aufweisen und die man als intermetallische
Verbindungen bezeichnet ... z.B. β-Messing (CuZn) und Verbindungen der
Zusammensetzung MgZn2, Cu3Au und
Na5Zn21."
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Die Bezeichnung "Verbindung" ist gerade für β-Messing
weniger angebracht. Die Struktur von Cu3Au hat selbstverständlich sehr
viel mit der ursprünglichen Metallstruktur von Cu und Au zu tun!
Zu Zintl-Phasen folgt im selben Buch dann die
Aussage (NaTl ist dunkelmetallisch glänzend!!!)
"... NaTl besitzt wie der Diamant gefüllte Bänder
und liegt als farbloser nichtmetallischer Feststoff vor."
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Auch in den anderen Chemielehrbüchern ist nur wenig über
intermetallische Phasen enthalten.
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Der Greenwood/Earnshaw (Chemie der Elemente) verweist im Register
Intermetallische Verbindungen s. Arsenide, Antimonide, Bismutide.
- Im Riedel/Janiak (Anorganische Chemie) sind dem Thema 8 (gute!) Seiten von ca. 900 gewidmet.
- Im Holleman/Wiberg machen Legierungen allgemein 1 (!) Seite (von fast 2000!) aus.
Immerhin enthält der Holleman/Wiberg ein gutes Kapitel zu Zintl-Phasen.
- Das Register des Binnewies/Jäckel/Willner/Rayner-Canham (Allgemeine und Anorganische Chemie)
hat weder einen Eintrag zu 'Intermetallisch*' noch zu 'Legierung'.
Auch in den Strukturchemie-Lehrbüchern
sind intermetallische Phasen nicht sehr ausführlich behandelt.
- Im Müller (Anorganische Strukturchemie) machen sie 10 von 300 Seiten aus.
- Der Wells (Structural Inorganic Chemistry) widmet dem Thema immerhin 40 von 1400 Seiten.
Die Gründe für die Vernachlässigung intermetallischer Verbindungen in
der Chemie sind vielfältig:
- Die Verbindungsbildung und die Phasenbeziehungen sind nicht einfach erklärbar
und reichen - je nach System - von vollständiger Löslichkeit der Metalle untereinander,
über die Bildung von Verbindungen mit scharfer Stöchiometrie
bis zu vollständiger Unlöslichkeit ohne jegliche Verbindungsbildung.
- Die Strukturchemie ist wegen der hohen Koordinationszahlen von 8 bis 24 meist recht
komplex, die Strukturen sind oft nicht einfach darstellbar und erklärbar.
Statistische Besetzung von Atompositionen und Bildung von Überstrukturen
sind häufig.
- Die metallische Bindung ist eher von festkörperphysikalischen Ansätzen her
verständlich. Es gibt keine einfachen Elektronen-Zählregeln und
Bindungsstriche, sondern breite Bänder. Nur manchmal greifen einfache chemische
Konzepte wie z.B. das für Ionenkristalle (bei Zintl-Phasen),
das für kovalente Verbindungen (z.B. bei III-V-Verbindungen) oder die
Wade-Regeln (z.B. für viele I-III-Verbindungen).
TROTZDEM oder GERADE DESWEGEN erscheint eine Vorlesung über
intermetallische Phasen wichtig zum Verständnis der
- Verbindungsbildung (Legierungen - Phasen - Verbindungen). Diskussion anhand von Phasendiagrammen.
- Strukturchemie (die zwar komplex, aber konzeptionell verständlich ist).
- metallischen Bindung
- Struktur-Eigenschaftsbeziehungen.
- für die Anwendungen relevanten physikalischen und chemischen Eigenschaften von
Metallen und Legierungen.
Außer diesen neuen Themen soll die Vorlesung der Wiederholung und Auffrischung
von
- Phasendiagrammen und der Methode 'Thermoanalyse' zu deren Untersuchung
- metallischer Bindung und elektronischen Strukturen von Festkörpern allgemein
- Methode Pulver-Diffraktometrie (Überstrukturen usw.)
- Metallstrukturen
- einzelner Kapitel der Strukturchemie (z.B. NiAs)
dienen und damit ev. auch einen Nutzen für die Festkörperchemie allgemein
haben
Im SS 2017 sind Exkurse zu besonders interessanten Themen geplant (je nach Zeit/Interesse):
- Metallische Elemente unter hohem Druck (bei Elementen, Kap. 2)
- PC-Materialien (bei kovalenten, Kap. 5)
- Heusler-Verbindungen, TI (Kap. 4.5. neu?)
- Schwerfermionen-Systeme (bei Zintl)
- Magnetmaterialien (bei Laves-Phasen, Kap. 7.2.)
- Wasserstoffspeicher (bei Laves-Phasen, Kap. 7.2.)
- klassische Supraleiter
- Quasikristalle
- Gestalterinnernde Legierungen (Shape-Memory Alloys)
- metallische Gläser
- Stahl
Zum Verständnis der Verbindungsbildung sind zunächst die Metalle selber (Gruppierung)
und die jeweils strukturbestimmenden Größen wichtig.